Störungen der sexuellen Funktion
Die sexuelle Reaktion lässt sich in die Phasen Appetenz, Erregung, Orgasmus und Entspannung gliedern, und jede dieser Phasen kann als solche gestört sein. Sämtliche Sexualstörungen wie auch psychische und Verhaltensstörungen weisen sowohl biologische als auch psychologische und soziologische Aspekte auf, sodass allein eine komplexe Sicht dieser Aspekte eine zutreffende Beschreibung und somit wirksame Behandlung verspricht.
Sexuelle Funktionsstörungen betreffen nicht nur den Menschen mit den jeweiligen Symptomen allein, sondern beeinträchtigen auch immer die Zufriedenheit des jeweiligen Partners bzw. der Partnerin. Hinzu kommt, dass sämtliche Funktionsstörungen sowohl unabhängig von anderen Störungen oder Erkrankungen auftreten können als auch als Folge von anderen Erkrankungen sowie deren Behandlung.
Störungen der sexuellen Präferenz (Paraphilien)
Unter dieser Bezeichnung werden Störungsbilder verstanden, bei denen die betroffenen Personen unter abweichenden sexuellen Impulsen leiden.
Das bedeutet, dass Personen, die über abweichende sexuelle Neigungen verfügen, jedoch nicht darunter leiden, auch nicht als gestört oder behandlungsbedürftig angesehen werden, solange sie weder andere noch sich selbst durch ihre abweichenden sexuellen Bedürfnisse beeinträchtigen oder gefährden. Zu solchen Paraphilien, die überwiegend Männer betreffen, gehört zum Beispiel die ausschließliche oder überwiegende sexuelle Erregbarkeit mit und/oder durch Gegenstände(n) wie Schuhe, Strümpfe, Wäsche etc. (sog. "Sexueller Fetischismus") oder die Vorliebe, frauentypische Kleidungsstücke zu tragen (z.B. Seidenstrümpfe und Dessous), weil dies als sexuell erregend erlebt wird (sog. "Transvestitischer Fetischismus").
Weiter gehört zu dieser Gruppe z.B. das Erleben sexueller Erregung durch das Ausüben oder Erdulden von Macht und Ohnmacht, Dominanz und Unterwerfung sowie durch das Beibringen oder Erleiden von Schmerzen (sog. "Sexueller Sado-/Masochismus"), das Einbeziehen von Fäkalien in die sexuelle Interaktion (sog. "Uro-/Koprophilie") sowie z.B. auch das Erleben sexueller Erregung durch das Abschnüren der Sauerstoffzufuhr (sog. "Hypoxyphilie") usw. Auch die sexuelle Erregbarkeit durch vorpubertäre Kinderkörper (sog. "Pädophilie") gehört zur Gruppe der Präferenzstörungen, solange es durch die entsprechenden Empfindungen nicht zu tatsächlichen, d.h. realisierten sexuellen Handlungen mit Kindern kommt. In einem solchen Fall würde man von pädosexuellen Handlungen sprechen.
Gleiches gilt für die Neigung, zur eigenen sexuellen Erregung andere Menschen in intimen Situationen gezielt zu beobachten (sog. "Voyeurismus") sowie für den Drang, die eigenen Genitalien vor Frauen und Kindern zu entblößen bzw. zu präsentieren und ggf. dabei zu masturbieren (sog. "Exhibitionismus"). Solange die jeweiligen Bedürfnisse und Impulse sich in der Phantasie der Betroffenen abspielen bzw. nicht die sexuelle Selbstbestimmung anderer Menschen beeinträchtigen, sind diese Neigungen den sexuellen Präferenzstörungen (Paraphilien) zuzuordnen. Erst wenn entsprechende Impulse in reales, fremdbeeinträchtigendes und damit dissexuelles Verhalten umgesetzt werden, verlassen diese Neigungen den Bereich der bloßen sexuellen Präferenzstörungen und werden (ggf. zusätzlich) unter der Kategorie der sexuellen Verhaltensstörungen (Dissexualität, s.u.) kodiert.
Paraphilien: Ursprung und Akzeptanz
Nach bisherigem sexualwissenschaftlichen Erkenntnisstand und aufgrund aller verfügbaren Daten muss davon ausgegangen werden, dass sich paraphile Impulsmuster in der Pubertät manifestieren und dann im weiteren Leben unveränderbar sind. Sie sind Schicksal und nicht Wahl: Keiner hat sich seine Präferenzen ausgesucht, sondern diese konstituieren sich in einem bislang noch nicht verstandenen Prozess, der keine kausale Ursachenverknüpfung möglich macht (etwa in dem Sinne, dass Männer mit pädophiler Neigung als Kinder sexuell missbraucht worden seien – dies trifft beispielsweise nur auf einen kleinen Teil der Betroffenen zu).
Dies macht gerade erforderlich, dass Betroffene sich mit diesen inneren Erlebensanteilen "arrangieren" müssen und dadurch mehr oder weniger stark nicht nur mit Selbstzweifeln konfrontiert sind, sondern vor allem mit der Frage, ob ein Partner oder eine Partnerin sie wirklich akzeptieren würde bzw. könnte. Diese Verunsicherung kann das syndyastische Erleben ("Kann ich beim anderen wirklich Annahme finden?") so stark tangieren, dass sie das Anknüpfen von Beziehungen erschwert oder bestehende Partnerschaften besonders gefährdet.
Störungen des sexuellen Verhaltens (Dissexualität)
Unter dieser Bezeichnung werden sämtliche sexuelle Verhaltensweisen zusammengefasst, bei denen das Wohl und die sexuelle Selbstbestimmung anderer Menschen beeinträchtigt oder geschädigt werden und die aus diesem Grunde strafrechtlich verfolgt werden können. Unabhängig von ihrer strafrechtlichen Relevanz oder Verfolgbarkeit sind mit dieser Störungsgruppe sämtliche sexuelle Übergriffe gegen die sexuelle Selbstbestimmung gemeint – sowohl psychische als auch physische. Sie werden unter dem Begriff Dissexualität zusammengefasst.
Störungen des Sexualverhaltens beginnen ...
... mit sexuell motiviertem, gezieltem Aufsuchen von Situationen, in denen andere Menschen (zur eigenen sexuellen Erregung) in intimen Situationen beobachtet werden können. Dabei werden zur Ermöglichung dieser sog. voyeuristischen Beobachtungen mitunter bewusst und willentlich auch Grenzen der Privatsphäre und des Hausfriedens überschritten (Betreten von Privatgrundstücken, Nutzung von Leitern vor Fenstern, auf Dächern, Besteigen von Balkonen etc.). Zur Gruppe der sexuellen Verhaltensstörungen gehört außerdem das bewusste sichtbare Entblößen und ggf. masturbatorische Präsentieren des Genitales (überwiegend vor Frauen und/oder Kindern) sowie das uneinvernehmliche Berühren oder Anfassen (überwiegend von Frauen oder Kindern) im Brust oder Genitalbereich in der Öffentlichkeit.